Unsere Gastautorin Heng lebt und studiert in Freiburg. Als Tochter eines iranischen Paares wuchs sie von der Anfangsstunde an zwischen zwei Kulturen auf und merkte schnell, dass sie in keine der beiden so richtig reinpasst. Ihr Blog Tea-riffic dient ihr als Megaphon in die digitale Welt, ansonsten schreibt sie als freie Autorin für die taz, das Missy Magazine und fudder.
Das erste Mal, als meine Mutter mich am Telefon fragte, ob ich in der neuen Stadt denn gar keinen netten Jungen kennengelernt habe, war ich kurz davor zu sagen: „Nein, Mama, aber ein total süßes Mädchen!“ Was passiert wäre, wenn ich es tatsächlich getan hätte, kann ich nur spekulieren.
Vielleicht hätte sie es für einen Scherz gehalten und gelacht. Vielleicht wäre sie wütend geworden – nein, nicht vielleicht, ganz bestimmt -, hätte mich in hoher Lautstärke zurechtweisen wollen, mir weißmachen, dass es falsch, ja krank, sei. Ob es Maßnahmen gegeben hätte, mich „zur Vernunft“ zu bringen? Ich weiß es nicht, so sehr ich es mir vorstellen kann, kommt es mir letztendlich doch absurd vor, wenn meine Eltern mir deshalb, sagen wir, die finanzielle Unterstützung streichen würden. Ich bekomme kein BaföG und bin zu einem großen Teil von ihnen abhängig, somit wäre dieses Druckmittel für mich tatsächlich mit viel Stress verbunden: Einen zusätzlichen Job suchen, einen Studienkredit aufnehmen, Geld von Freund_innen leihen.
Vielleicht hätte sie den Kontakt zu mir abgebrochen, meiner Schwester verboten, mich anzurufen – oder das komplette Gegenteil in Form von Kontrolle und Überwachung. Was sie in dem Moment ganz bestimmt nicht entgegnet hätte, wäre Akzeptanz oder Freude.
Das Outing bei den Eltern ist in meinem gesamten Freund_innenkreis ein großes Thema gewesen. Obwohl die meisten Familien offen und positiv reagierten, war das Aussprechen der Tatsachen eine Hürde für meine Freund_innen.
Was mich so sehr verunsichert, meinen Eltern von meinem Begehren zu erzählen, ist mein bikulturelles Umfeld. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, meine Eltern allerdings nicht. Sie sind vor knapp 30 Jahren aus dem Iran hergezogen und haben Kindheit wie Jugend in einem streng muslimischen Kontext erlebt. Ein Land, in dem allgemeine Wertvorstellungen durch das Gesetz so stark ins Private durchdringen, in dem Minderheiten unsichtbar sind und in dem die Religion so sehr im Vordergrund steht, prägt identifikationsstarke Begriffe wie Kultur und Tradition ungemein. Denken sie an ihre Heimat, können diese Dinge nicht komplett ausgeblendet werden.
Nun kann auch von Deutschland nicht behauptet werden, vollständige Religionsfreiheit gewährt zu bekommen, marginalisierten Gruppen den nötigen Raum zu lassen und das Festlegen persönlicher Werte den Bürger_innen zu überlassen.
Problematisch ist hierbei, dass meinen Eltern durch eine antimuslimische Mehrheit vermittelt wird, dass ihre (möglicherweise) muslimisch verankerten Werte rückschrittlich, unterdrückend und integrationswiderständig seien. Die „deutsche Mentalität“ hingegen sei liberal, modern und das Nonplusultra. Schnittpunkte wie das Traditionsbewusstsein, die Stellung der Familie, und eben auch Heterosexismus und patriarchale Strukturen werden dadurch legitimiert. Ganz einfach nach dem Prinzip: „Wenn es in Deutschland auch so gemacht wird, dann ist das schon in Ordnung. Wenn mit einem Thema der Umgang hier anders ist als dein gewohnter, dann liegst du falsch.“
Jegliche Rechtfertigung ihrer Position ziehen sich aus Vergleichen mit deutschen Freund_innen und Bekannten. „S. findet das auch ganz schlimm, das liegt nicht nur an unserer Kultur, das gilt allgemein!“
Wie kann ich meine Eltern also davon überzeugen, dass mein Lebensstil keineswegs verwerflich ist, wenn selbst im ach so modernen Deutschland Homophobie und Heterosexismus salonfähig sind?
Würden sich private Dinge, die in der Politik auftauchen und vor allem aufgrund christlicher Werte abgelehnt werden, durchsetzen – wie die Gleichberechtigung homosexueller Paare, die Pille danach oder das Adoptionsrecht –, würde es meinen Eltern leichter fallen, ihre Tochter so zu akzeptieren, wie sie ist.
Die Unterdrückung und Unsichtbarkeit von nicht-heterosexuellen Menschen lässt den Gedanken noch weiterspinnen: Ich sehe mich nicht als lesbisch, sondern als queer an. Mein Begehrensspektrum schließt Menschen ein, die sich unterschiedlich verorten. Es könnte also sein, dass ich mal mit einer sich als männlich definierenden Person eine romantische Beziehung führe. Dann hätten meine Eltern ja auch das, was sie gerne hätten: einen „potenziellen Schwiegersohn“. (Wobei die Ehe für mich keine Option ist, was meine Eltern sogar akzeptieren. Diese Einstellung gegenüber Partner_innenschaften und Familie wird nicht mal in allen deutschen Kreisen geteilt.) Dass ich von monogamen Zweier_Paarbeziehungen wenig halte, habe ich allerdings für mich behalten.
Da sie sich mit der Materie nicht wirklich auseinandergesetzt haben, ist der Begriff „queer“ für sie – und da spielt auch die Weitläufigkeit und die Weigerung, eine enge Definition über das Wort zu stülpen eine Rolle – nichts Anderes als Bisexualität. In einem Gespräch diffamierte meine Mutter bisesexuelle Menschen als „hedonistisch, unmoralisch, triebgesteuert und egoistisch“. (Selbst, wenn es stimmte, wäre dies nicht mal verwerflich.)
Mein Versuch, sie nach und nach für das Thema zu sensibilisieren, scheiterte kläglich. Monatelang erzählte ich ihr in Nebensätzen, dass ein guter Freund sich ja geoutet habe und versuchte sie zu überzeugen, dass Homophobie total unwissenschaftlich, rückschrittlich und diskriminierend sei. Sie reagierte abweisend, wollte von all dem nichts hören. „Warum liegt dir das Thema so am Herzen?“, fragte sie mich. „Du bist doch nicht etwa selbst eine von diesen, oder? Falls ja, dann solltest du es früh genug sagen, damit ich rechtzeitig zur Therapie mit dir können.“ Bei so einer Aussage konnte ich nicht anders, als zu verneinen. Bis auf ein schwules Paar, das mit meinen Eltern befreundet ist (vorrangig im geschäftlichen Kontext), kennen sie keine Menschen außerhalb der heterosexuellen Matrix.
Meine Cousine und meine Schwester wussten schon längst von der Beziehung mit meiner damaligen Freundin und freuten sich für mich. Trotzdem rieten sie mir, es für mich zu behalten. Das Problem besteht nicht nur darin, wie meine Eltern damit zurechtkommen, sondern wie sie mit ihrem Freund_innenkreis und der Verwandtschaft darüber reden. Ständig von irgendwelchen Onkeln und Tanten mit Belehrungswunsch oder Beleidigungen angerufen zu werden, das will ich mir sparen.
Als ich über Weihnachten zuhause war, gab es erst mal nichts zu sagen. Meine Freundin hatte kurz davor Schluss gemacht und ich war insgeheim froh, mich nicht geoutet zu haben, weil ich für meine Eltern das Klischee kurzlebiger gleichgeschlechtlicher Beziehungen (wenn ein Jahr denn als kurzlebig zu betrachten ist) bestätigt hätte. Dass es mit einem Typen genauso hätte laufen können, muss ich gar nicht schreiben.
Warum ist es mir dann überhaupt so wichtig, mit ihnen darüber zu reden? Ich wohne weit weg von ihnen, sodass ein Einblick in meine Privatsphäre nicht so leicht ist. So lange es möglich ist, könnte ich doch darüber schweigen und wer weiß, vielleicht bin ich in zehn Jahren doch mit einem Typen zusammen, habe Kinder und erfülle ihre Vorstellungen. Wäre ein momentanes Outing nicht eine Aktion ins Leere?
Die Wahrheit ist, dass ich keine Lust mehr habe, mich zu verstecken und sie anzulügen. Jedes Mal, wenn ich höre, dass sie stolz auf mich sind, kommen mir Zweifel hoch, ob sie es denn auch wären, wenn sie mich richtig kennen würden. Ob ich dann nicht eine bloße Enttäuschung für sie wäre, so fern von bürgerlichen Lebensformen, tätowiert, queer, anders als das Mädchen, als das sie mich wahrnehmen.
Es gab diesen einen Moment, in dem ich mich so sehr bestätigt fühlte und das Gefühl hatte, dass sich was tut und dass ich schon einige Wertvorstellungen aufgeweicht habe. Während eines Telefonats erzählte ich meiner Mutter von Lann Hornscheidts „feministische w_orte“. Ich ging auf sprachliche Diskriminierung und auf das Hinterfragen der Geschlechterbinarität ein. Wider Erwarten war sie interessiert und äußerte den Wunsch, mehr darüber zu erfahren. Obgleich nicht so offen, wie ich es gern hätte, hat sich ihre Sicht auf Dinge gelockert.
Also, was tun? Einfach weiterhin um den Brei herum reden, wenn es mit ihr und meiner Tante beim Tee um die Eigenschaften meines Traummanns geht? Warten und hoffen, dass sie irgendwann offen genug sind? Warten darauf, in einer monogamen, jahrelangen Beziehung zu enden und zu sagen: Schau her, wir lieben genauso wie ihr, nur gleichgeschlechtlich?
Mir persönlich brennt es bei jedem Telefonat mehr auf der Zunge. Es kommt mir mittlerweile so einfach vor, es auszusprechen. Zumindest in meinem Kopf. In der Realität fehlen mir doch die richtigen Worte. Das Outing ist nicht mit einem Labeln gleichzusetzen. Ich würde nicht sagen, dass ich mit Cismännern wenig anfangen kann, sondern, dass N. damals mehr als nur eine gute Freundin war. Was sie daraus machen, kann ich kaum steuern. Mit viel Geduld, Zeit und Stärke schaffen wir das miteinander sicherlich.
Ich kann dazu nichts Kluges sagen, aber dein Text berührt mich sehr und ich wünsche dir viel Stärke und Kraft, mit dem Konflikt weiter umzugehen. Oder irgendwann einmal den Mut, es zu sagen – ohne die Konsequenzen einschätzen zu können. Manchmal bewegt das Auftauchen eines „Tabus“ in der unmittelbaren Nähe, bei Menschen, die geliebt werden, doch zum Umdenken. Ich würde es dir wünschen. Alles Gute!
Link zum Blog tea-riffic broken.
@Anett: danke für den Hinweis, ist korrigiert.
Hallo Heng
Ich hab erst letztens wieder beschlossen, mich nie im Umfeld meiner türkischen Familie zu outen. Vieles ist genauso wie du es beschreibst: deshalb danke ich dir erstmal dafür. Von Outing halte ich persönlich selber nicht viel; in den Kontexten in denen ich mich gewöhnlich bewege, genügt ein Nebensatz, der das klar macht; aber es ist nie Hauptbestandteil meiner Auseinandersetzung mit wem.
Dieses Beobachten, sanfte Nachhaken, Zögern kenn ich gut. Ich mach es meistens so, dass ich mich von konketen Ausdrücken fern halte. Ich trag zB einen Binder und die meisten Frauen der Familie haben das auch bemerkt. Ich hab nix von trans* gesagt. Eine meiner Tanten meinte, sie will auch einen und ich hab ihr die Bestelldaten gegeben. Später wurden Fotos gemacht; ich kam gerade aus dem Haus und sah, dass jetzt ein Foto von allen Männern der Familie gemacht wurde. Ich kam näher und ausgerechnet mein sehr streng muslimischer Onkel, der auch Jugend-Hoca in der Moschee ist, sagte, ich soll auch aufs Bild kommen. Jetzt bin ich auf den Fotos der Frauen der Familie und der Männer der Familie … Das sind so Momente, die für mich eine ganz wichtige symbolische Wirkung haben und die ich festhalte, für die ich sehr dankbar bin.